Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Wie gute Arbeitsatmosphäre die Gesundheit fördert

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Arbeitsatmosphäre im Gesundheitswesen - wie erreicht man bessere Ergebnisse?
Foto: FASZINATIONS-FOTOGRAFIE by Holger Bulk

Arbeitsatmosphäre und Gesundheit – wie passt das zusammen? Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari ist Experte für Beatmungsmedizin und leitender Oberarzt. In diesem Interview gibt es uns tiefe Einblicke aus der Praxis. Er ist seit 22 Jahren Arzt und leitet seit 10 Jahren erfolgreich ein multiprofessionelles Team auf einer Beatmung Intensivstation.

Seine Vision ist die globale Revolution der Beatmungsmedizin mit dem Menschen im Mittelpunkt. Dieses Ziel verfolgt er zusammen mit seinem Team mit einer klaren Strategie und voller Leidenschaft. Dabei stützt er sich auf ganzheitliche Behandlungsmethoden, die Körper, Geist und Seele der Patienten einschliessen, aber auch auf eine entsprechende Arbeitsatmosphäre in seinen Teams, die es ermöglicht, aussergewöhnliche Ergebnisse zu erzielen. Sein Ziel, die Beatmungsmedizin zu revolutionieren, will er durch die klinischen und wissenschaftlichen Ergebnisse seiner bereits von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie zertifizierten Beatmung auf der Intensivstation, sowie mittels nationaler und internationaler Fachvorträge, aber auch über mitreissenden Keynotes, die für das Thema sensibilisieren sollen, erreichen.

Wie sind Sie zur Beatmungsmedizin gekommen und was motiviert Sie in diesem speziellen Bereich der Medizin zu arbeiten?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Ich habe Medizin studiert, weil ich meine Erfüllung darin sehe, wie der menschliche Körper funktioniert. Wie entstehen Krankheiten? Wie kann ich verhindern, dass Krankheiten gar nicht entstehen? Diese Fragen trieben meine Neugierde an und faszinierten mich. In Regensburg an der Universitätsklinik in Bayern, hatte ich meine erste Stelle als Arzt. Dort gab es viele Spezialisierungsmöglichkeiten. Als Internist hat mich die Lunge am meisten fasziniert. Wie viel Einfluss die Lunge auf den Menschen und seine Gesundheit hat, wurde mir erst damals richtig bewusst.

Was sind die primären Aufgaben der Lunge?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Bis zum heutigen Tag wissen wir immer noch sehr wenig über dieses Organ. Bekannt ist, dass es eine Filterung und Reinigung der Luft und dann unsere lebenswichtige Atmung mit Sauerstoffaufnahme und Ausatmung von Kohlendioxid ermöglicht. Zudem ist es ein wichtiges Organ bei der Immunabwehr sowie für die Regulation des pH-Wertes. Seit über 20 Jahren forsche ich an dem spannenden Phänomen Lunge und Atmung und optimiere heute mit meinem multiprofessionellen Team den Behandlungserfolg und die Behandlungsdauer der Beatmung auf der Intensivstation.

In der Corona-Zeit wurde das Thema Beatmung plötzlich in den Mainstream-Medien behandelt. Welche Herausforderungen sehen Sie in der aktuellen Beatmungsmedizin und wie gehen Sie mit diesen um?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Ich sehe es als eine der grössten Herausforderungen, Menschen adäquat zu versorgen, die früher geraucht haben oder noch immer rauchen. Diese Angewohnheit sorgt für eine negative Veränderung der Lunge. Ein grosses Problem ist die dadurch entstandene reduzierte Funktion der Lunge sowie die Infektanfälligkeit und erhöhtes Krebsrisiko. Die demographische Entwicklung in Deutschland verstärkt das Problem. Diese Menschen könnten im Alter beatmungspflichtig werden. Sie sind sehr vulnerabel, wenn Infekte auftreten, wie wir die letzten Jahre im Rahmen der Corona- Pandemie und der Influenza-Wellen gesehen haben. Da das Gesundheitssystem bereits vorher schon durch Fachkräftemangel und Überforderung der Mitarbeiter angeschlagen war, wirkte sich die letzte Pandemie nochmal verstärkend aus und deckte lang bestehende Defizite dann richtig auf.

Was muss getan werden, um nie mehr in einen Beatmungsengpass zu kommen?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Wichtig ist, dass man die Arbeitsatmosphäre im Gesundheitsbereich verbessert und gleichzeitig die Präventivmedizin vorantreibt, damit wir nie in die Situation eines Beatmungsengpasses kommen.

Arbeitsatmosphäre und Prävention ist eine Sache, aber die Rolle des Arztes muss sich ebenfalls verändern – weg von der Krankheit, hin zur Gesundheit. Nachdem die demographische Lage sich in Europa und vor allem in Deutschland immer weiter verschärft, benötigt es einer professionellen Präventivmedizin. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Aber es kommt langsam zu einem Umdenken. Zum Ersten Mal wurden zur Früherkennung von Lungenkrebs, woran rund 45.000 Deutsche jährlich versterben, ein gemeinsames Positionspapier der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie (DGT) und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) verfasst.

Wie hat sich die Technologie in der Beatmungsmedizin in den letzten Jahren verändert und welche Auswirkungen hat dies auf die Patientenversorgung?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Die technologischen Fortschritte in der Beatmungsmedizin sind gravierend. Mittlerweile gibt es portable und individualisierbare Beatmungsgeräte, deren Integrierbarkeit in den Lebensalltag der Menschen immer leichter möglich ist. Auf der modernen Beatmung-Intensivstation sind die Intensivrespiratoren, die die Menschen von der maschinellen Beatmung entwöhnen, mit entsprechenden KI-Programmen ausgestattet. Nach individueller Einstellung durch den Atmungstherapeuten oder den Arzt kann die maschinelle Beatmung durch eine ständige live Erfassung der Vitalwerte und der Eigenatmungskapazität des Patienten ständig neu angepasst werden, sodass ein individualisiertes und deutlich effektives und für den Patienten besser verträgliches Weaning (=Entwöhnung) von der invasiven maschinellen Beatmung erfolgen kann.

Dazu kommen Medikamente, die die Lunge und ihre Funktionen bei Krankheiten unterstützen und immer effizienter werden. Und gerade bei der Lungenkrebstherapie kann die Therapie heute schon durch die Molekularpathologie individualisiert und durch die Immuntherapie besser verträglich optimiert werden. Dies sorgt dafür, dass die Lebenserwartung verlängert wird, bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebensqualität.

Welche Rolle spielt die interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere mit Pflegekräften und Physiotherapeuten, in der Beatmungsmedizin?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Eine herausragende, wenn nicht die wichtigste Rolle überhaupt, spielen die Arbeitsatmosphäre im Team und die Struktur der Zusammenarbeit eines multidisziplinären Gesundheitsteams.

Ich selbst veranstalte einmal wöchentlich ein Treffen mit dem interdisziplinären Team. Wir machen Brainstorming zu folgenden Fragen:

  • Woher kommt der Patient?
  • Woran leidet er?
  • Was ist bisher gemacht worden an Untersuchungen und Behandlungen?
  • Wie kann man ihm weiterhelfen?

Jede Berufsgruppe bringt sich dabei ein und protokolliert dann die eigenen Ergebnisse und Entscheidungen wöchentlich digital auf einer Übersichtsseite für alle Berufsgruppen. Ich formuliere dann als Leiter der Sitzung gemeinsam mit dem Team unser Gesamtziel. Dann wird stets das gemeinsame Ziel im Blick gehalten, sodass alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Nur so kann eine fokussierte und effektive Behandlung stattfinden. Wenn jeder nur sein eigenes Süppchen kocht, ist das nicht zum Wohle des Patienten. Genau hier kommt eben auch die angesprochene Arbeitsatmosphäre, bedingt durch eine enge und gute Kommunikation, ins Spiel.

Über 40.000 Pflegekräfte fehlen in Deutschland. Nennen Sie drei Massnahmen, die man umsetzen könnte, um Menschen für das Gesundheitswesen zu gewinnen und zu halten.

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Wenn man eine gute Arbeitsatmosphäre als Ergebnis einer guten Teamführung ermöglicht, hat man keinen Personalmangel. Punkt. Funktionierende Strukturen und Systeme fallen jedoch nicht vom Himmel, sondern müssen aktiv umgesetzt und kontinuierlich reproduziert werden.

Hier noch drei Punkte, die unbedingt umgesetzt werden sollten:

  • Wertschätzung und Dankbarkeit: Krankenpfleger und -schwestern vollbringen jeden Tag eine grossartige Leistung. Moderne Teamführung, Sichtbarkeit, bessere Bezahlung, mehr Wertschätzung und Dankbarkeit, sowie Partizipation an Entscheidungen sollten eine Selbstverständlichkeit sein.
  • Soziale Massnahmen: Kindergartenplätze, Teilzeitarbeit ausweiten, flexible Arbeitszeiten, Selbstbestimmung, etc. sollten es Müttern und Vätern ermöglichen, ihren “Job” als Eltern nicht zu vernachlässigen und gleichzeitig auch ihren Beruf ausüben zu können.
  • Das richtige Mass an Forderung: Strukturen und Systeme im Gesundheitssystem müssen fein und flexibel eingestellt werden, um die arbeitenden Menschen nicht zu über-, aber auch nicht zu unterfordern.

Die Vorstellung, dass ein Mensch wie eine Maschine funktioniert und fehlende Teile einfach ausgewechselt werden müssen, herrscht oftmals noch immer vor. Welche Ebenen tragen denn wirklich zu einer Gesundung bei?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Gesundheit und Genesung sind ein ganzheitlicher Prozess. Geist, Seele und Körper wirken zusammen, weshalb die Arbeitsatmosphäre des behandelnden Teams auch so wichtig ist für die Genesung. Nur die Behandlung auf mehreren Ebenen kann zum Erfolg führen. Dazu benötigt man Zuwendung, Wertschätzung und Menschlichkeit – im Krankenhaus benötigt man beispielsweise viel mehr Seelsorge für die Betroffenen, aber auch Familienfürsorge für Angehörige.

Bei unserer Beatmung auf der Intensivstation platzieren wir in Absprache mit den Angehörigen beispielsweise Fotos an der Wand im Patientenzimmer. Diese zeigen jedem, der das Zimmer betritt, wie der Mensch vor der Krankheit war – das ist nicht ein nur ein Körper, der von einer Maschine beatmet wird, sondern ein Mensch! Das hilft allen Behandelnden dabei, den Mensch hinter dem Krankheitsfall zu erkennen. Es ist für den Behandlungserfolg und die Behandlungsdauer wichtig, den Patienten als Mensch und nicht als Objekt zu sehen.

Welche weiteren Schritte planen Sie, um Ihre Vision “die Globale Revolution der Beatmungsmedizin einzuleiten” zu realisieren?

Dr. Mehyar Lavae-Mokhtari: Ich besuche internationale und nationale Fachkongresse, wie zuletzt in New York im Jahr 2022, in denen ich unsere Strategien bei der Befreiung von der maschinellen Beatmung bei Langzeitbeatmung vorstelle. Ausserdem skizziere ich unsere Art von Teamführung

Unsere Ergebnisse sind herausragend und führen dazu, dass Menschen, selbst nach einem schweren Krankheitsverlauf, mit einer gut im Alltag integrierbaren Maskenbeatmung nach Hause gehen können. Im Idealfall ist gar keine Beatmung mehr nötig. Zudem ist die Sterblichkeit auf unserer Intensivstation nur halb so gross, wie die durchschnittliche Sterberate auf den Beatmungsintensivstationen in Deutschland.

Und drittens besteht bedingt durch Wertschätzung, Dankbarkeit und Partizipation an Entscheidungen eine hohe Personalbindung. Dies inspiriert andere Ärzte und andere Berufsgruppen dieser menschlichen und effizienten Vorgehensweise in der Behandlung nachzugehen. Es geht darum, dass wir in unserem Land und darüber hinaus besser, schneller und effizienter werden.

Dabei spreche ich nicht nur auf Fachkongressen, sondern halte auch Keynotes vor fachfremdem Publikum. Auch Menschen ausserhalb des Gesundheitssektors sollen sensibilisiert und inspiriert werden, ihrem Traum und ihrer Vision mit Mut und Leidenschaft nachzugehen.

Hier meine Keynote auf YouTube.

 

 

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