Interview über die Pfahlbauten Bodensee mit Simone Benguerel, Archäologin, Amt für Archäologie des Kantons Thurgau
Pfahlbauten Bodensee – Taucher holen Funde an die Wasseroberfläche. Welches ist die Herausforderung?
Die Erosion im Bodensee ist ein Phänomen, das nicht zu unterschätzen ist. Der See ist nicht künstlich reguliert und hat deswegen starke Wasserpegelschwankungen. Dieses Problem schlägt sich auch auf die Fundstellen im Wasser unter anderem auf verschiedene Holz-Konstruktionen, wie zum Beispiel Pfahlbauten oder Wracks und andere Bauwerke am Ufer nieder. Die Arbeit des Amtes für Archäologie besteht deswegen darin, diese durch die Erosion gefährdeten archäologischen Reste zu dokumentieren.
Was wird untersucht?
Seit Februar 2020 ist das Tauchteam wieder in Güttingen beschäftigt. Dort werden seit 2017 Bestandesaufnahmen und Sondierungen von den 250 Metern vom Ufer entfernten Pfahlfeldern vorgenommen. Zudem liegen auf einer Untiefe Schwellbalken und Pfähle des mittelalterlichen Mäuseturms. Während der letzten Kampagnen wurden über 2000 Pfähle eingemessen und beprobt. Die aus dem Seegrund ragenden Teile der Pfähle sind stark erodiert.
Können Sie uns einen solchen Tauchgang bei den Pfahlbauten im Bodensee beschreiben?
Bei dieser Fundstelle wird vor Ort ein Floss stationiert, auf dem zusätzlich zu den Tauchern immer jemand bereit ist, der Funde entgegennehmen kann oder auch über das Funkgerät, welches einer der Taucher bei sich trägt, erreichbar ist. Da das Floss mit Strom versorgt wird, kann man am Grund eine künstliche Strömung erzeugen, welche das aufgewühlte Wasser wegspült und den Archäologen somit einen klaren Arbeitsplatz ermöglicht.
Wie lange blieben Taucher unten?
Die Taucharchäologen können mithilfe ihrer Gasflaschen bis zu vier Stunden unter Wasser bleiben. Dort sind sie damit beschäftigt, ein bestimmtes Feld freizulegen, zu fotografieren, zu zeichnen oder beispielsweise auch Holzpfähle auszugraben. Diese Holzproben sind besonders wichtig, um die Funde in eine bestimmte Zeit datieren zu können. Darüber hinaus ist es möglich, anhand der Jahresringe des Holzes die Witterung der einzelnen Jahre bestimmt werden.
Aus welcher Zeit kommen die Funde von den Pfahlbauten Bodensee?
Die entnommenen Dendroproben zeigen, dass das Pfahlfeld grösstenteils von Siedlungen aus der Spätbronzezeit stammt (1110 – 930 v.Chr.). Aber es fanden sich auch einzelne Hölzer aus der römischen Zeit (150 – 280 n.Chr.). In diesem Jahr wird diesen Strukturen weiter nachgegangen.
Wie wurde die Fundstelle entdeckt?
Der Mäuseturm liegt auf einer Untiefe und die Konstruktion war schon immer bekannt, deshalb ist wohl auch die Sage überliefert. Überraschend für uns war, dass sich im Umfeld des Turms aus dem Mittelalter ein riesiges spätbronzezeitliches Pfahlfeld befindet. Wir waren eigentlich nicht davon ausgegangen, soweit draussen im See noch Reste von Pfahlbauten zu finden. Dies deutet darauf hin, dass der Wasserspiegel zu gewissen Zeiten deutlich niedriger war als bislang angenommen wurde. Als kleine Sensation können die Strukturen aus römischer Zeit bezeichnet werden, da von dieser Epoche bislang keine Bauten im Flachwasserbereich bekannt waren.
Der Mäuseturm
Auf einer inselartigen Untiefe vor dem Schloss Güttingen, etwa 240 m vom Ufer entfernt, liegt der sagenumworbene Mäuseturm. Von der Anlage haben sich im Wasser gut erkennbare, in einem Geviert von etwa 15 x 15m angeordnete Pfähle und Schwellenhölzer aus dem 12. Jahrhundert erhalten. Funde wie ein lithurgisches Silberglöckchen zeugen von der Bedeutung der Anlage. Von den Tauchern des Amts für Archäologie konnte seit 2017 in der Umgebung der Untiefe auch ein etwa 1,5 ha grosses Pfahlfeld aus der Spätbronzezeit dokumentiert werden. Gemäss den dendrochronologischen Analysen stammt es von Siedlungen zwischen 1111 und 936 v.Chr. Zu den typischen Funden zählen sogenannte Lappenbeile. Die stark verschliffenen Gefässscherben und Pfahlköpfe zeugen davon, dass die Siedlungsreste starker Erosion ausgesetzt sind. Daher wird die archäologische Bestandesaufnahme fortgesetzt. Zusätzlich wird dabei der Frage nach der Nutzung des Mäuseturms in römischer Zeit nachgegangen, die dank Gefässfunden und datierten Bauhölzern seit der letztjährigen Kampagne gesichert ist.
Bronze setzt sich durch
Wichtigste Merkmale der Bronzezeit (2200-800 v.Chr.) sind die einsetzende und kontinuierlich zunehmende Verwendung der Bronze, die Stein, Silex und Holz nie ganz verdrängt, sowie die sich im Fundgut abbildende gesellschaftliche Hierarchisierung. Die Menschen lebten aber nach wie vor von Ackerbau und Viehzucht, als Selbstversorger von den angebauten Kulturpflanzen und den gesammelten Wildpflanzen sowie von den gehaltenen und gejagten Tieren. Am wichtigsten sind: Dinkel, Emmer, Gerste, Hirse und Hülsenfrüchte. Aus den Ufersiedlungen lässt sich enorme Mengen an Hausrat erkennen. Dort haben sich dank dem Abschluss vom Luftsauerstoff auch Objekte aus organischen Materialien erhalten. In der Bronzezeit ist Holz ein wichtigstes Rohmaterial, beim Hausbau ebenso wie bei der Herstellung zahlreicher Gefässe und Geräte (Schüssel, Tasse, Schöpfer, Löffel, Knieholm, Pfeilbogen, Handgriff). Es wird auch Keramik in grosser Zahl produziert. Berechnungen haben ergeben, dass ein Haushalt 60-90 Gefässe besass.
Die Menschen aus der Bronzezeit verzichteten nicht auf Werkzeuge aus Stein. Bei den Geweihartefakten fällt eine Vielzahl neuer Formen und Verzierungen auf, welche sich offensichtlich an den vielfältigen bronzenen Vorbildern orientieren: Pferdetrensen, Messergriffe, Tüllenharpunen, zweiseitig zugespitzte Geschossspitzen sowie kleine, zylindrische, verzierte Dosen aus Hirschgeweihsprossen mit hölzernen Böden und Deckeln.
Die bronzezeitliche Gewebe- und Geflechtherstellung steht dagegen mit Ausnahme einiger Neuerungen ganz in neolithischer Tradition.
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