Kathrin Altwegg

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Kathrin Altwegg

Professorin für Weltraumforschung

Kathrin Altwegg «Geht nicht – gibt’s nicht»

Als «Kometenjägerin» wurde sie schon mehrfach bezeichnet. Als Weltraumforscherin und «Astrophysikerin» auch, obwohl sie Letzteres klar verneint. Denn Kathrin Altwegg ist de facto Physikerin und Professorin für Weltraumforschung am Center for Space and Habitability der Universität Bern. In der Männerdomäne konnte sie sich behaupten. Und noch mehr als das. Für sie als Physikerin gilt eh das Prinzip: «Geht nicht – gibt’s nicht.»

Jede Person entwickle irgendwann einen Fokus auf etwas Bestimmtes, ja gar eine Begierde. Bei Kathrin Altwegg (65) hiess das Objekt dieser Begierde «Rosetta». Die Mission Rosetta war ihr grosser Erfolg, für den sie jahrelang gearbeitet hatte. Mitte 2014 war es dann auch so weit, als der staunenden Öffentlichkeit bekannt gegeben wurde, dass nach zehn Jahren Weltraumflug die europäische Weltraumsonde Rosetta den Kometen «Churry» erreichte. An Bord: ein Massenspektrometer der Uni Bern, an welchem Kathrin Altwegg massgeblich mitgearbeitet hatte. Dieser Erfolg brachte der Berner Forscherin den Preis des Berner Handels- und Industrievereins ein.

Das Rosetta-Experiment ist nun zu Ende. Für die «Grande Dame» und Pionierin unter den Frauen in der Schweizer Weltraumforschung heisst dies zwar seit einiger Zeit kürzer zu treten, aber mitnichten mit dem Arbeiten aufzuhören. Noch immer lässt sie sich regelmässig beim Physikalischen Institut der Universität Bern an der Sidlerstrasse blicken. Denn nach 20 Jahren an der Rosetta-Mission der ESA beginnt für ihr Team die eigentliche Wissenschaft: die Auswertung der Daten.

 Rosetta Experiment

Kathrin Altwegg hat noch viel vor …

Ausserdem hat Kathrin Altwegg noch etwas vor: Sie leistete nicht nur als Weltraumforscherin und Physikerin Pionierarbeit an der Uni Bern. Sie kämpft nach wie vor auch dafür, dass mehr Frauen den Weg in die Wissenschaft und in die naturwissenschaftlichen Disziplinen finden. Das brauche nach wie vor viel Geduld, sagt sie. Sie wolle den Mädchen und jungen Frauen die Angst vor einigen Ausbildungen und Berufen nehmen, betont sie. Am Physikalischen Institut der Universität Bern studieren heute zehn bis 15 Prozent Frauen. Und sie hatte kürzlich ein gutes Dutzend Doktoranden unter ihren Fittichen und ist stolz darauf, dass diese jetzt auch ihren Weg gehen. Die Naturwissenschaft ist offenbar in der Familie Altwegg in Fleisch und Blut übergegangen: Ihr Ehemann ist ebenfalls promovierter Physiker und Professor an der Fachhochschule Freiburg. Die Töchter der Familie

Altwegg haben Mathematik und Materialwissenschaften studiert. Auffällig ist, dass Kathrin Altwegg trotz ihres grossen Leistungsnachweises und allen Ehren, die ihr zuteil wurden, äusserst bodenständig wirkt. Dieser Eindruck täuscht nicht, wie sie uns bestätigt. Sie habe den hohen wissenschaftlichen Anspruch und eine ausgeprägte Erdung unter einen Hut gebracht, wurde sie auch schon zitiert.

Als Frau in einer Männerdomäne zu bestehen, ist zwar heute auch noch nicht die Regel, wie es eigentlich sein sollte, aber auch keine Ausnahme mehr. Einer Sensation kam es aber schon gleich, als Kathrin Altwegg vor mehr als zwei Jahrzehnten zur Leiterin jenes Teams ernannt wurde, welches das Schlüsselexperiment auf der Kometensonde Rosetta zum Kometen «Churry» geschickt hatte. Sie entwickelte Rosina, ein Instrument, das die Zusammensetzung der Gase im Schweif des Kometen Tschurjumow-Gerasimenko misst. Für Altwegg war Rosina das Herzstück der Mission.

Das Messinstrument arbeitete perfekt. Besser sogar, als sich Altwegg das je vorstellen konnte. Die Leitung eines solchen Teams als Frau unter Männern beanspruchte nicht nur viel Fachkenntnis, sondern auch Durchsetzungsvermögen. Auch wenn in ihrer Gruppe damals vier Physikerinnen und zwei Physiker sowie ein Softwareingenieur und ein Laborant arbeiteten. Zusammen mit der Chefin waren die Frauen damals sogar in der Mehrzahl: eine Konstellation, die Seltenheitswert hat in der Welt der Physik. Darüber und über ihre Art der Teamführung sprachen wir mit Professorin Kathrin Altwegg am Physikalischen Institut der Universität Bern.

Professorin Kathrin Altwegg

Frau Altwegg, ist es eigentlich eine Legende oder entspricht es der Tatsache, dass Frauen im Berufsleben projektorientierter sind als Männer? Besonders, wenn sie Führungspositionen einnehmen.

Das würde ich schon unterstreichen. Viele Frauen mit Führungsrollen wollen in erster Linie ein Projekt zum Erfolg führen und denken erst danach an eine Beförderung. Der Drang, zudem noch beweisen zu müssen, dass man Dinge erreichen kann, die bisher vor allem Männern vorbehalten war, ist spürbar. Da möchte man oft noch etwas besser sein, um eventuellen Zweifeln vorzubeugen. Ein solches Verhaltensmuster spürt man an den Universitäten noch immer. Bei den Männern kommt es vielleicht öfter vor, dass man gross herauskommen möchte. Ich möchte dies jedoch nicht generalisieren.

 Frau Kathrin Altwegg, Jetzt sind Sie aber gross herausgekommen, als Leiterin eines solch aufwändigen, teuren und äusserst prestigeträchtigen wissenschaftlichen Projektes …

Ja, und es ist mir ehrlich gesagt nicht ganz so wohl dabei, in diese Schublade der «Frau in der Männerdomäne» gesteckt zu werden. Ich wurde Leiterin des Projektes, weil ich da hineingewachsen bin und die Fähigkeiten dazu mitbrachte. Ich wurde zum Aushängeschild. Besonders weil ich eine Frau bin und ich oft zitiert wurde, als ich bei Rosetta von «meinem Baby» sprach. Rosetta hat aber auch mehrere «Väter». Aber es ist in der Tat optimales Teamwork unter vielen absoluten Fachleuten und Top-Experten gewesen. Ich wurde auch gefördert und gestützt von meinen männlichen Mentoren und Vorgesetzten. Was bei mir eventuell zu Buche schlug, war meine Fähigkeit, die Teamchemie zu fördern, und eine Gabe, Sachen gut vermitteln zu können.

Welche sind bei Ihnen die besonderen Fähigkeiten bei der Teamführung?

Ich glaube, dass ich didaktisch geschickt bin und auf die Leute eingehen kann. Dazu kommt vielleicht eine Gabe, konstruktiv kritisch – manchmal sogar mit einem Blick von aussen – Probleme lösen zu können. Beim Rosetta-Projekt gab es Situationen, wo wir einfach den Fehler nicht fanden und hoch intelligente Physiker und Techniker wochenlang inklusive Wochenende- und Nachtschichten nach der Lösung suchten. Ich zog mich dann mal ein Wochenende kurz zurück, spielte mit den Kindern und machte einen Ausflug, und in einer ruhigen Minute hatte ich eine Idee, was man zur Lösung des Problems machen könnte. Und es konnte umgesetzt werden.

Der Rückzug und der Blick von aussen wirkt manchmal Wunder. Das sollte man öfter machen, wenn ein Problem zu gross wird. Auch im Beruf. Einen interessanten Führungsgrundsatz des Tempo-Zurücknehmens und die Sachen von einer anderen Warte aus zu betrachten, kann ich auch anhand eines anderen Beispiels erklären, das in die gleiche Richtung zielt: Viele Mitarbeitenden sagten mir, dass sie sehr gerne mit den Franzosen arbeiten würden, weil diese sich eine längere Mittagspause gönnen. Und in dieser Mittagspause am gemeinsamen Esstisch lösen sich durch Gespräche und lockere Ideentransfers mehr Probleme, als man sich vorstellen könne.

altwegg forscherin GF

Welchen Gegenwind mussten Sie in den letzten 20 Jahren aushalten?

So manchen. Erstmal war man in der Raumfahrtbehörde nicht ganz so einverstanden, dass ich das Projekt in einem Teilzeitpensum leite. Ich hatte junge Kinder und wollte für sie die Work-Life-Balance nicht riskieren oder ganz einfach nicht zu oft sie alleine lassen. Da musste ich mich schon durchsetzen. Dann gab es immer wieder Reibereien zwischen diversen Ressorts und den verschiedenen internationalen Teams und deren Verantwortlichen. Hier musste ich oft schlichten und vermitteln, damit alles wieder projektorientiert läuft. Das habe ich von meinem ersten Chef Hans Balsiger, einem begnadeten Diplomaten, gelernt.

Viele sind aber noch immer der Meinung, dass man als «Teilzeit-Manager/in» eben auch nur Teil-Erfolge feiern kann …

Mit Verlaub, das ist absoluter Blödsinn. Heute besonders ist es mit den aktuellen Kommunikationsmitteln immer möglich zu führen. Dezentrales Führen ist nicht erst seit gestern im Trend. Dies gilt auch für die Soft Skills. Sobald man Vertrauen entgegenbringt und die richtigen Leute an den richtigen Schnittstellen mit den nötigen Fähigkeiten hat, kann das genauso gut klappen, als wenn man eine Vollzeit-Managerin oder ein Vollzeit-Manager ist. Wichtig ist auch die Zusammenstellung der Teams. Eine gesunde Mischung bedeutet nicht nur die Abdeckung des fachlichen Bereichs, sondern auch die Gewährleistung der Teamchemie bezüglich den Abläufen und Persönlichkeiten und eine Ausgewogenheit zwischen Erfahrung und Dynamik beim Kenntnisstand, den Arbeitsweisen und der Altersstruktur.

Sie haben auch einen Teil Ihrer Teams rekrutiert … HR-Fachleute sagen heute vermehrt: «Haben zwei Kandidatinnen oder Kandidaten die fachlich gleich guten Fähigkeiten, entscheiden die Soft Skills!»

Da bin ich ganz damit einverstanden. Herzblut ist wichtig und ein Antriebsfaktor. Man muss sich identifizieren können. Ich hatte Leute evaluiert, die fachlich top waren, aber es war bei ihnen kein Herzblut zu spüren. Es war ihnen eigentlich egal, was sie bauen. Ich will Leute um mich haben, die sich identifizieren mit dem Projekt. Sehen Sie, Ingenieure sagen uns manchmal, was nicht möglich sein soll. Wir gehen die Sachen anders an: «Geht nicht» gibt es nicht in unserer Gedankenwelt. Wir wollen dann erst recht wissen, ob es gehen könnte! Solche Leute sind mir in meinen Teams am liebsten.

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Kernaussagen

Einer meiner Führungsgrundsätze heisst: Auch mal das Tempo zurücknehmen und die Sachen von einer anderen Warte aus betrachten.

Herzblut ist wichtig und ein Antriebsfaktor. Ich wählte immer motivierte Mitarbeitende, die sich mit dem Projekt identifizierten!

Keine Angst vor Naturwissenschaft

Den naturwissenschaftlichen Unterricht am Gymnasium hatte Kathrin Altwegg immer gemocht. Archäologin wollte die Arzttochter aus Balsthal SO damals werden. Deshalb lernte sie neben Griechisch und Latein im Freifach Hebräisch. Kurz vor der Matura hat sie sich dann jedoch entschieden, an der Universität Basel Festkörperphysik zu studieren. Nach dem Doktorat in Basel zog sie mit ihrem späteren Ehemann Laurenz, gleichfalls Physiker und heute pensionierter Professor für Telekommunikation an der Freiburger Hochschule für Technik und Architektur, in die USA und beschäftigte sich an der New York University mit physikalischer Chemie. Als beide nach einigen Jahren wieder in die Schweiz zurückkehrten, bewarb sie sich in Bern bei Professor Johannes Geiss für eine Post-Doktoratsstelle. Sie arbeitete bei der Auswertung der Daten der Europäischen Raumsonde Giotto mit, die 1986 am Kometen Halley und 1992 an dessen kleinerem Cousin Grigg-Skjellerup vorbeiflog und Messungen vornahm. Geiss’ Nachfolger Hans Balsiger schliesslich machte sie 1996 zur Projektmanagerin von Rosina.

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