Jack Andraka, ein toter Onkel und der Krebs
Mit 15 Jahren hat Jack Andraka einen Krebstest erfunden haben, der schneller und billiger ist als bisherige Verfahren. Wer ist dieser Junge?
Mit Schulfreunden die Schule geschwänzt. Heimlich Zigaretten geraucht. Die erste grosse Liebe. Und der erste Vollrausch. Das machen 15-Jährige normalerweise. Nicht so Jack Andraka. Andraka ist Amerikaner und ein Genie. Er erfindet 2012 einen Test, der die Krebsmedizin revolutioniert.
Zwar ist es keine Heilmethode, um Bauchspeicheldrüsen-, Lungen- und Eierstockkrebs besiegen zu können, aber es ist ein Anfang. Es ist ein Anfang, der den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen kann.
Der Anstoss für seine Erfindung war sein Onkel, der unter viel Schmerzen an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstarb. Der Tod des Familienmitglieds war das Erlebnis, was den heute 22-Jährigen dazu ermutigte, sich auf die Suche nach einer Lösung zu machen, die eventuell das Leben des Onkels hätte retten können. So erkannte er, dass ein grosser Teil des Problems in einem Mangel an Früherkennungsmethoden bestand. Da Bauchspeicheldrüsenkrebs oft erst im Spätstadium entdeckt wird, ist es im Grunde genommen ein Todesurteil. Nur zwei Prozent der Patienten überleben. Früh erkannt, könnten die Überlebenschancen allerdings sehr gut sein.
Der Junge Jack Andraka kassierte 200 Absagen
Andraka begann mit dem Erforschen einer Möglichkeit, den Krebs frühzeitig zu erkennen. Im Biologieunterricht an der North County High School entwickelte er die Lösung des Problems – und zwar durch das penible Auswerten vorliegender Studien und ein wenig Google-Recherche am Computer.
Doch dann das Problem: An der Schule gab es kein Labor, in dem er seine These hätte überprüfen können. So schrieb der Schüler 200 Professoren der medizinischen Fakultät der Johns Hopkins Universität in Baltimore und des renommierten National Health Instituts im nahen Washington an. Im Schreiben bat er sie, seine Erfindung in ihren Labors testen zu dürfen.
Doch Andraka kassierte Absagen über Absagen. 200 insgesamt. Keiner glaubte an seine Methode, keiner wollte einem 15-Jährigen ein Labor für Testversuche zur Verfügung stellen. Erst der Onkologe und Biomolekularwissenschaftler Dr. Anirban Maitra, einer der Johns-Hopkins-Professoren, lud den Jungen zu einem Gespräch ein.
Der zu übersprudelnden Erklärungen neigende Schüler überzeugte den Professor, Maitra liess ihn in im Labor der Uni arbeiten, wohin seine Mutter ihn jeden Tag nach der Schule fuhr. «Sie holte mich auch ab, manchmal um zwei Uhr nachts», erinnerte sich Jack während eines Vortrags, der auf seiner Facebook-Seite zu sehen ist. Nach sieben Monaten habe er endlich brauchbare Ergebnisse produziert. «Krebsforschung ist nicht so easy.»
Wie genau Jack Andrakas Methode geht, ist einfach erklärt. Der von ihm entwickelte Teststreifen funktioniert ähnlich wie ein Filterpapier, ist aber getränkt mit einer Flüssigkeit mit Kohlenstoffnanoröhrchen. Diese Zylinder, deren Wände nicht dicker sind als ein einzelnes Atom, binden das Mesothelin und verändern sich dadurch geringfügig. Mesothelin ist ein Protein, eine erhöhte Konzentration im Blut oder Urin kann ein Anzeichen für bösartige Tumore in der Bauchspeicheldrüse sein; auch bei Lungen- und Eierstockkrebs kommt das Eiweiss vor.
Zwei Rappen kosten die Materialien für den Krebstest. Andrakas Methode zur Krebsfrüherkennung ist damit etwa 26‘000 Mal günstiger als das gängige Nachweiseverfahren, das auf der Erkennung von Antikörpern basiert, dem Elisa-Test. Und es ist nur günstiger. Der Test ist auch 90 Prozent zuverlässiger, 168 Mal schneller und zu annähernd hundert Prozent präzise.
Jung und unschuldig
Andraka sieht unschuldig aus, brav. Heute wie damals hat er das Mondgesicht eines Teeangers und eine Frisur, die der Sänger Justin Bieber zu seinen Anfängen trug. In seinen Jugendzeiten war er ein ganz normaler Nerd, wie er einst der «Faz» erzählte. Ein Nerd, der in seiner Freizeit Origami faltete und an Mathematikwettbewerben teilnahm – bis die Sache mit dem Bauchspeicheldrüsenkrebs kam und er seither als Einstein Junior gehandelt wird.
Wie jung Andraka zum Zeitpunkt seiner Erfindung war, zeigte die Episode, als der damals 15-Jährige den hochdotierten Intel-Preis für seine Erfindung erhielt. Da flippte er aus, lief kreischend auf die Bühne, fiel auf die Knie, umarmte und drückte alle Umstehenden. Freudenszenen bei Oscar-Verleihungen waren im Vergleich nichts dagegen. Oder als Jack Andraka 2013 bei Barack Obamas Rede zur Lage der Nation unter den Ehrengästen in der Loge der First Lady sass.
Seine Begeisterung nach der Veranstaltung, die er im Gegensatz zu 33,5 Millionen Fernsehzuschauern vor Ort miterlebte, war ungekünstelt. «Schon vor der Rede war die ganze Veranstaltung einfach fantastisch», schwärmte er, und: «Die Leute, der Raum, die Geschichte, alles zusammen machte diesen Moment fast unwirklich! Als Präsident Obama seine Rede hielt, war das wirklich bewegend.
Ich habe viel gelernt über Politik.» Und im Interview mit «Forbes» lobte das Wunderkind noch, was aus seiner Sicht der Höhepunkt war: «Vor allem erinnere ich mich, dass ich aufsprang und klatschte zu Obamas Bemerkungen zu Erfindungen in Wissenschaft und Medizin. Er hat’s kapiert!»
Was seine Erfindung für Wissenschaft und Medizin bedeutet, wird sich noch weisen. Andraka hält das internationale Patent auf seine Vorrichtung. Wann seine Erfindung massentauglich ist, weiss er selbst noch nicht, wie er kürzlich auf Facebook schrieb. Bis es soweit sei, müsse die Methode eine Vielzahl an klinischen Test durchlaufen, um zugelassen zu werden. „Und das braucht Zeit.“ Schliesslich ist auch nicht alles positiv an seiner Methode. So bemängeln Kritiker, dass das Verfahren nicht zwischen gut- oder bösartigem Gewebe differenzieren könne.
Andraka will Politiker werden, oder doch nicht?
«Auch bei Entzündungen ist der Mesothelinspiegel erhöht, dafür müssen nicht immer bösartige Tumore verantwortlich sein», erklärte etwa der Heidelberger Krebsforscher Jens Werner in der «Faz». Ist die Sensitivität eines Tests hoch, seine Spezifität aber gering, könnte Patienten fälschlicherweise die Diagnose Krebs gestellt werden. Auch bilde sich nicht bei jeder Art von Bauchspeicheldrüsenkrebs das Eiweiss Mesothelin aus.
Man darf also gespannt sein, was die Tests ergeben. Für die Krebsdiagnose wäre es zu hoffen, dass Andrakas Methode funktioniert. Inwieweit der junge Amerikaner dann daran noch beteiligt ist, ist unklar. So sagte er auch schon, dass er gerne Politiker werden wolle. Auch engagiert er sich für den freien Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln im Netz. «Stellen Sie sich vor, alle Menschen hätten Zugriff auf das gesammelte Wissen der Welt», sagte er der «Faz», und: «Dann hätten alle die Chance, eine Entdeckung zu machen, Krebs zu heilen.»
Autor: Niles Hänggi